Ein Oldtimer erzählt…
Die Feuerwehr Erbach/Rheingau
in den 60er und 70er Jahren
Atemschutz im Zeichen des Weinbrands
Ganz am Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts kamen auch bei den freiwilligen Feuerwehren die Atemschutzgeräte auf, die bis dahin den Berufsfeuerwehren und Werksfeuerwehren vorbehalten waren. Einer der ersten Lehrgänge für den Rheingau war im Herbst 1970 bei der Werkfeuerwehr der Firma Asbach in Rüdesheim angesetzt, dort wurden von den Rheingauer Feuerwehren die ersten 5 bis 6 Kameraden (frau verzeihe mir die Schreibweise, aber damals gab es wirklich nur Männer bei der Feuerwehr) pro Wehr ausgebildet.
Und so begab es sich, dass sich Bernhard, Michael und Karlheinz Kohlhaas, Lothar Gareiß und der Verfasser dieser Anekdote einige Wochen lang am Samstag aufmachten, um den Umgang mit den neuen Wunderdingern zu lernen. Leiter der Ausbildung war der Chef der Asbach-Werkfeuerwehr mit Namen Steckenmesser. Ein richtiger kantiger alter Krieger, der sehr bildhaft von seiner Mitwirkung bei der Entwicklung des „Heeresatmers“ im zweiten Weltkrieg erzählen konnte, doch davon später mehr. Jedenfalls waren wir schwer beeindruckt.
Noch mehr beeindruckte alle, die keinen Wehrdienst geleistet hatten, der militärisch geprägte Appell zu Beginn jeder Schulung. „Stillgestan‘ – rrricht‘ Euch – zur Meldung Augään rrrechts!“ Verzweifelte Blicke zu Bernhard, der als Einziger von uns „gedient“ hatte und uns so die Grundbegriffe beibringen konnte.
Natürlich gab es damals keine einheitlichen Nomex-Anzüge nach HUPF oder EU-Norm, sondern jede Feuerwehr war so eingekleidet, wie es ihr gefiel oder Geld für Kleidung vorhanden war. Die Erbacher in olivfarbenem (!) Drillich mit schwarzen Helmen, die Eltviller in Dunkelblau, manche mit schwarzen Jacken, andere wieder in Gelb, es war schon ein richtig bunter Haufen, der dort stand, von den verschiedenen Schattierungen der verwaschenen Drillichkombis gar nicht zu reden. Statt HAIX-Boots hatten wir unsere Weinlese-Gummistiefel an, einige brachten ihre Bundeswehr-Knobelbecher mit, auch Wanderschuhe waren zu bewundern. Was bitte ist denn ein Sicherheitsschuh? Und Handschuhe würden hier sowieso nur hinderlich sein.
Nachdem wir eine Menge über den Heeresatmer gehört hatten (dieses Gerät wird in verbesserter Form heute noch von allen Grubenfeuerwehren der Welt verwendet) und auch mit den Pressluftatmern PA 54 und PA 58 vertraut waren, standen die Prüfungen an: Eine schriftliche, eine Konditionsübung und dann die endgültige praktische Abnahme.
Die schriftliche Prüfung war nicht anders als heute auch, aber für die Konditionsübung hatte sich Kamerad Steckenmesser etwas einfallen lassen: Jeder bekam eine alte Wehrmachtsgasmaske mit Aktivkohlefilter und mit dieser Schnüffelbüchse vor dem Gesicht ging es dann den Berg hinauf von Rüdesheim bis zur Jugendherberge, die ja fast so hoch liegt wie die Germania. Selbstverständlich gingen unsere Ausbilder mit uns, leider ohne Masken.
Wie erwähnt, waren die Masken schon etwas älter und die Aktivkohle und das Papier in den Filtern verursachten einen ziemlichen Atemwiderstand, so dass so mancher ganz schön Probleme bekommen hätte, wenn Bernhards Erfahrung aus Bundeswehr-Zeiten uns nicht geholfen hätte: Man nimmt den vorderen Teil eines Kugelschreibers und klemmt ihn sich in Höhe der Schläfe so unter die Maske, dass durch ihn und neben ihm noch die Menge Luft durchkommt, die man benötigt, um nicht umzufallen. Natürlich geht das nur an der frischen Luft und natürlich ist das streng verboten! Trotzdem war das Bier in der Jugendherberge sauer verdient.
Krönung war die Abschlussprüfung, bei der wir unter den kritischen Blicken unserer extra für diesen Anlass angereisten Vorgesetzten in Gruppen durch die Kanalisation der Firma Asbach getrieben wurden. Die Rohre dort riechen nicht unangenehm (soweit man das mit der Maske auf der Nase beurteilen kann), aber da unten ist es stockfinster und jedes Mal, wenn es am Helm rumst, hat man wieder eine Wasserleitung, die quer läuft, erwischt.
Als Angehöriger des ersten Trupps hatte ich persönlich vor allem die Hoffnung, dass unser Getöse die Ratten rechtzeitig vertrieben hatte. Man weiß ja nie, wozu so ein Tierchen, das sich bevorzugt von Weinbrand und ähnlichen starken Sachen ernährt, in seiner Volltrunkenheit fähig ist… (In Abwandlung des alten Steinberger-Witzes aus dem Kloster Eberbach: „Drei Tropfen Asbach, jetzt geh‘ ich hoch und mach‘ die Typen mit den schwarzen Helmen fertig!“)
Die Fotos sprechen eine deutliche Sprache, vor allem ältere Kameraden hatten ihre Not, dort unten durchzukommen. Werbewirksam war die letze Station ein Fässchen ohne Boden. Die späteren „Atemschutz-Strecken“ bei der Berufsfeuerwehr Wiesbaden oder in der Feuerwehrschule Johannisberg hatten auch ihren Charme, aber man wusste immer, dass einem nichts passieren konnte, da im Notfall jederzeit die seitliche Klappe geöffnet werden kann. Die Kanalisation von Asbach roch zwar gut, aber sie war nichts für Klaustrophobe oder empfindliche Gemüter.
Aber was für ein Gefühl, dort unten durchgekommen zu sein!
Reinhard Groß